So gestalten Kinder in Hamburg ihre eigene Stadt
Das neue Sommerprogramm der Patriotischen Gesellschaft startet im Juli. Hier entscheiden die Jüngeren alles selbst. Die Hintergründe.
Hamburg. Sie werden zu Architekten und Handwerkern, erproben sich als Banker, Künstler und Politiker, sie kochen, musizieren und diskutieren miteinander: In der neuen „Kinderstadt Hamburg“ kann der Nachwuchs der Hansestadt in den Sommerferien spielerisch lernen, wie unser Gemeinwesen funktioniert, welche sozialen und wirtschaftlichen Kreisläufe es prägen. Das Vorhaben soll ein kulturpädagogischer Lichtblick werden, die Lethargie verdrängen nach einem Jahr Pandemie, die den kleinen Mitgliedern unserer Gesellschaft sehr große Zumutungen gebracht hat.
Eigentlich war das von der Patriotischen Gesellschaft initiierte Projekt größer geplant: Bis zu 1000 Kinder und Jugendliche hätten sich gleichzeitig auf einem begrenzten Areal in Hamburg tummeln können – wenn Corona nicht dazwischengekommen wäre. Nun, angesichts eines immer weiter abflauenden Infektionsgeschehens, soll das Camp stattfinden, wenn auch bescheidener als ursprünglich angedacht: Voraussichtlich bis zu 250 Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 15 Jahren werden sich gleichzeitig auf dem Stadthof zwischen dem Museum der Arbeit und dem Kulturzentrum Zinnschmelze in Barmbek aufhalten dürfen, wo die Kinderstadt am 19. Juli öffnet.
Kinder aus Hamburg planen ihre eigene Stadt
Bis zum 28. Juli kann der Nachwuchs dort täglich von 10 bis 17 Uhr an 19 Stationen mitmachen: von der Bauhütte über eine Fahrradwerkstatt und die Stadtreinigung hin zur Zeitungsdruckerei. Für ihre spielerische Arbeit zahlt die Bank den Kindern einen Lohn aus. Mit diesem fiktiven Geld können sie am Kiosk einkaufen oder Pizza in der Bäckerei essen gehen.
Auf der Stadtversammlung entscheiden sie gemeinsam, wie es mit der Stadt weitergeht. Im Planungsbüro sollen die kleinen Bürger an der Weiterentwicklung des Konzepts für das kommende Jahr mitarbeiten, auf „erfinderischen Expeditionen“ zu Baum-Experten werden, mit „Aqua Agenten“ die Wasserinfrastruktur für die zukünftige Kinderstadt planen.
„Kinder sind frei von Sachzwängen“
All diese Angebote sind kostenlos. Eine Voranmeldung ist nicht nötig; Kinder können spontan vorbeikommen. Die Mitspielbändchen werden täglich neu ausgegeben. Wegen der begrenzten Teilnehmerzahl gilt allerdings: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Zudem müssen Eltern vorher eine Einverständniserklärung ausfüllen und bereit sein, dass ihre Kinder vor Ort einen kostenlosen Corona-Schnelltest machen. Die Kinderstadt wird dafür Tests vorhalten. Den Hygieneplan stimmt die Patriotische Gesellschaft mit dem zuständigen Bezirksamt Nord ab. Für Eltern soll es Wartebereiche geben. Sie sollen ihre Kinder aber nicht zu den Spielstationen begleiten – denn dann wäre es ja keine Kinderstadt mehr.
„Wir laden Kinder aus allen Teilen Hamburgs zur Begegnung und zum gemeinsamen Spiel ein“, sagt Mitorganisatorin Hella Schwemer-Martienßen, die 23 Jahre lang die Hamburger Bücherhallen leitete. „Wir wollen den Ideen der Kinder Räume geben. Kinder sind frei von Sachzwängen, sie sind spontan, fantasievoll und denken eine Stadt vielleicht ganz anders als Erwachsene, die sich allzu oft in erster Linie an Machbarkeiten orientieren.“
Ziel: Hamburg soll über Lernen und Bildung nachdenken
Die Patriotische Gesellschaft will mit dem Vorhaben ein Nachdenken in Hamburg über Lernen und Bildung anstoßen. Im Schulunterricht fehle oft der direkte Bezug zu unserem Gemeinwesen, es mangele an Erlebnissen und damit verbundenen Gefühlen. Kinder interessierten sich dann nicht in dem Maße für ihre Umwelt, nicht für ihre Stadt, wie es möglich wäre, wenn kognitives, soziales und emotionales Lernen zusammenkommen.
Finanziell gefördert wird die „kleine“ Kinderstadt in diesem Sommer durch die „Zeit“-Stiftung, den Fonds Soziokultur Neustart Kultur, die Mara & Holger Cassens-Stiftung, Christl und Michael Otto und die Early Birds-Stiftung. Insgesamt sind so gut 100.000 Euro zusammengekommen. Damit sollen Sachkosten gedeckt und freie Künstler und Solo-Selbstständige bezahlt werden, die sich an den Spielstationen auf dem Gelände in Barmbek engagieren werden. Viele andere Unterstützer arbeiteten ehrenamtlich, heißt es von der Patriotischen Gesellschaft.
Vorbild für Kinderstadt Hamburg: „Mini-München“
Vorbild für die Kinderstadt Hamburg ist „Mini-München“, ein „Labor des Lernens, Denkens und Handelns“, wie es der Hamburger Filmemacher Reinhard Kahl nannte, der eine Dokumentation über die Spielstadt gedreht hatte. „Weil sie handeln wollen, denken die Kinder, und dabei lernen sie“, erklärte Kahl. „Die Kinder wollen wissen, wie etwas geht, sie wollen gebraucht werden, jeder will sein Ding und seinen Platz finden. Sie sehnen sich geradezu nach Erwachsenen, die etwas gut können und erklären.“
In der bayerischen Metropole behauptet sich das Bildungsprojekt seit vier Jahrzehnten. Diverse Betriebe und Einrichtungen engagieren sich als Unterstützer.Die Hamburger Organisatoren hoffen, dass in der Hansestadt ein ähnlicher Erfolg gelingt. Mehr Infos unter: www.kinderstadt.hamburg.
Quelle: Hamburger Abendblatt