Ein Auszug aus dem Erfahrungsbericht von der Grundschule Horn, aufgezeichnet von Sarah Steidl
Es geht um die Frage nach der Identität. Denn mit diesem Thema sind die „Gedankenflieger“ dieses Jahr unterwegs. Groß, klein, fröhlich, neugierig – was macht die Kinder aus?
Über das Vorlesen und Zeigen einer zum Jahresthema ausgewählten Bilderbuchgeschichte werden die Kinder ermutigt, sich zu fragen, was sie auszeichnet. So auch in der 3a. Hier liest Anne Jaspersen aus „Roberta & Henry“ vor. Glücklich ist die Giraffe Roberta nicht. Sie findet ihren Hals zu lang, zu fleckig, zu dünn. Vertuschen hilft nichts; sie fühlt sich entsetzlich unzulänglich. Bis sie eines Tages Henry trifft. Der findet ihren Hals wunderschön – und hat als Schildkröte ganz andere Probleme. Gut, dass Roberta helfen kann. Durch mitgebrachte Tierohren und die durch ein Würfelspiel initiierte Möglichkeit, sich selbst oder anderen Tierohren aufzusetzen, werden die Kinder animiert, etwas über sich oder andere zum Ausdruck zu bringen. Jerry, wählt zögerlich und etwas unsicher die Tigerohren. „Hast Du vielleicht etwas gemeinsam mit dem Tiger“, fragt Anne Jaspersen den Drittklässler. „Ich bin so schnell wie ein Tiger“, sagt Jerry. Das eifrige uns somit bestätigende Nicken seiner Mitschüler:innen lässt Jerrys Brust breiter werden. Er und andere erzählen sofort von den vielen Fußballspielen und Sportveranstaltungen, bei denen Jerry mit Abstand der Schnellste war – man sprichwörtlich nur noch den Staub hinter ihm aufwirbeln sehen hat. Über die Tierohren konnte Jerry etwas über sich selbst sagen, hat Bestätigung und Sicherheit in seiner Selbstwahrnehmung erfahren. Schnell hat Anne Jaspersen in dieser Klasse durch ihre offene und haltgebende Form des Nachfragens eine Atmosphäre geschaffen, in der jede:r etwas über sich sagen möchte.
Woran bin ich zu erkennen, und wie erkenne ich mich selbst? „Ich bin meine eigene Spezies!“, sagt die achtjährige Alexia. 2022 drehte sich bei uns alles um die »Identität« – ein Thema, was die Kinder in besonderer Weise angesprochen hat. Denn Grundschulkinder erleben in ihrer Schulzeit eine Phase intensiver Prägung: Ihre Welt wird größer, sie werden immer selbstständiger und beginnen vielleicht sogar schon sich selbst in sozialen Medien darzustellen. Wie spannend und notwendig ist es da, einen Blick auf sich selbst zu werfen und sich gemeinsam all die Fragen zu stellen, die ein „Ich“ ausmachen können: Was haben Gefühle mit mir zu tun, was meine Gedanken? Ist mein Aussehen für meine Identität wichtig? Wie sehr bestimmt meine Umgebung mein Selbstbild, was denken andere von mir? Welche unterschiedlichen Rollen nehme ich ein und wie sehr sind diese Rollen Teil meiner Identität? Was sagen die Dinge, die ich gerne tue, über mich aus? Wie wichtig sind eigene Entscheidungen für mein Wesen? Und was ist, wenn ich mich anders fühle als alle anderen? Fragen über Fragen, auf die die Kinder beeindruckende Antworten gesucht und gefunden haben.
Die Gedankenflieger arbeiten erlebnisorientiert, die 90 Minuten sind in verschiedene Phasen aufgeteilt und so erlernen die Kinder die Kulturtechnik des Philosophierens spielerisch mit allen Sinnen.
Die Zeit neigt sich dem Ende zu. Zusammen treten wir in einen Kreis und Anna Jaspersen lässt den roten Faden herumgehen. Wir stehen beisammen und ein:e jede:r benennt, wie er die vergangene Doppelstunde, unseren Besuch, wahrgenommen hat. Die Kinder hören einander zu – nur selten doppelt sich das Gesagte. Im Gegenteil: Die Kinder nehmen aufeinander Bezug, ergänzen einander und danken uns für unser Kommen. Wir kommen wieder, keine Frage. Und das dank der Unterstützung der Stiftung Kinderjahre.